25./26.07.2021
Da saß sie nun inmitten eines hoch aufgetürmten Haufens aus den Fragmenten ihres Lebens…Trümmer, Scherben, Glitzersteine, kleine Geschenke, ein paar undefinierbare Schatten, aber auch Lichtstrahlen, die die Scherben wundervoll glitzern ließen.
Umringt von Bergen und Tälern, die sie durchwandert hatte,sah sie auch ein großes Haus mit jeder Menge Türen und Fenster. Manche waren geschlossen, Andere angelehnt, ein paar zugenagelt, Einige weit geöffnet..und dahinter steckte jeweils eine Geschichte mit Jemandem, der sie eine Zeitlang begleitet hatte. Viele hatten ihren Weg gekreuzt, Manche waren noch da, die Meisten nur für den Moment geblieben. Sie schaute auf die Türen und erkannte, dass ihr manchmal der Mut gefehlt hatte, hindurch zu gehen oder aber, eine Tür endgültig zu schließen, wenn es angebracht und wichtig war. Vor allem, wenn es dabei um IHR Seelenheil ging. Zu gern kümmerte sie sich um Andere und gab gern und oft. Leider übersah sie zu häufig ihre Grenzen und achtete zu wenig auf den Ausgleich.
Sie schaute sich um. Den Rucksack ihres Lebens, den sie ewig mit sich getragen hatte, immer wieder mit Neuem befüllt, das Ein oder Andere raus geholt und da gelassen, hatte sie nun endlich abgesetzt und vor sich ausgekippt. Tiefe Abdrücke hatten die Träger auf ihren Schultern hinterlassen. Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie schwer dieser Rucksack gewesen war, und sie spürte deutlich ihren schmerzenden Rücken. Aber war das wirklich ihr Schmerz? Hin und wieder hatte sie das Gefühl gehabt, den Schmerz Anderer zu spüren, den sie teils unbewusst aufnahm, oft aber auch aus ihrem Bedürfnis heraus, zu helfen, auf sich genommen hatte. So sah sie genauer hin! Zuerst der Schreck, was alles darin gewesen war. Dann die Neugier, sich den Inhalt genauer zu betrachten. Bei jedem einzelnen Stück durchfuhr sie eine dazu gehörende Emotion. So liefen ihr bei dem Einen die Tränen über ihre Wangen, beim Nächsten packte sie die Angst und ließ sie zusammenzucken. Ein Anderes jagte ihr Schauer über den Rücken. Und dann die, die sie selig lächeln ließen oder laut lachend in eine schöne Erinnerung eintauchen. Sie badete in ihren Gefühlen von Glück, Trauer, Sehnsucht, Liebe, Freude, Schmerz und Vermissen. Welch ein bunt gemischtes Potpourri sich über die 50 Jahre in ihr angesammelt hatte. Was wäre, wenn sie jetzt Einige der Dinge, die sie solang mit sich getragen hatte, einfach hierlassen würde? Gleich Brocken oder Wackersteinen, die sie in der Vergangenheit immer wieder in ihre Dunkelheit hinab gezogen hatten. Sie erinnerte sich an den Tag am Bach, an dem sie aus vielen selbst gesammelten Steinen einen Steinturm errichtet hatte. Es war so eine tiefgreifende meditative Erfahrung gewesen, aus den gefundenen Steinen etwas so Schönes zu errichten. Immer wieder war das Türmchen umgefallen oder einzelne Steine abgerutscht, doch sie versuchte es wieder und wieder und letzten Endes standen da 3 Türme und sie erkannte, dass es im Leben genauso lief. Wenn man etwas Stabiles errichten will, darf man sich nicht verunsichern lassen oder durch Rückschläge in Zweifel geraten. Wir wachsen an unseren Herausforderungen und Rückschlägen und besonders durch überlebten Schmerz. Unser Herz zeigt uns immer den richtigen Weg. Nur ist es wichtig, der Stimme unseres Herzens zu lauschen und ihr zu folgen. Was war also der für sie richtige Weg? Sie wusste es genau, denn wieder und wieder war sie eingetaucht in ihre Tiefe und hatte vor ihrem inneren Auge die Bilder entstehen lassen, auch wenn es derzeit nur eine schöne Vision war. Doch sie war sicher, dass alles zur rechten Zeit kommen würde, wenn es für sie gedacht war.. All das, was sie da in ihrem Rucksack gefunden hatte, all die Menschen, die ihr begegnet waren mit den Ereignissen, die geschehen waren, hatten sie hierher an diesen Punkt gebracht und zu der Frau gemacht, die sie jetzt war. Mit all ihren kleinen Fehlern und Macken, ihren Stärken und Schwächen, ihren Hochs und Tiefs und den vielen kleinen Fältchen, davon einigen Tieferen, die sich durch Trauer und Schmerz eingekerbt hatten und manch Narbe auf ihrem Körper. Ja, sie war keine 20 mehr, Vieles hatte seine Spuren hinterlassen und sie kritelte häufig an sich herum. Auch da durfte sie nun Akzeptanz und Annahme lernen und sich für all das, was ihr gelungen war und was sie ganz allein geschafft hatte, mal liebevoll auf ihre Schulter klopfen.
Und so lag sie in dieser Vollmondnacht mal wieder schlaflos wach und die Mondin schaute durch das Fenster ihres Zimmers tief in ihre Seele hinein und floss durch ihre Zellen. Dieses intensive Licht erfüllte sie mit großer Demut über all die großen und kleinen Wunder von Mutter Erde und dem Universum, die sie täglich begleiteten. Sie trat hinaus auf den Balkon in dieser besonderen Nacht und sah im den Himmel hinauf. Die Grillen zirpten ihr Lied, ansonsten war es still um sie herum. Unzählige Sterne säumten das Himmelszelt, und Manche schienen kurz aufzublitzen. Für einen Moment entwich ihre Seele ihrem Körper und schwebte hinauf, um die von ihr gegangenen Seelen kurz zu treffen. Sie kannte diese kleinen Momente der Sehnsucht und war doch immer wieder im JETZT gelandet. Ein Stern verband sich durch einen hellen Schein fast unsichtbar mit einem Anderen und sie spürte dieses Gefühl, sich auch wieder jemand Anderem nahe fühlen zu wollen. So war es wohl, wenn das Licht in dem Einen das Licht im Anderen erkannte und es gemeinsam zu einem Leuchten wurde. Sie atmete tief durch und eine Träne rann über ihr Gesicht.
Ob jetzt irgendwo auch Andere hinauf zum Himmel sahen und staunend über diese Herrlichkeit in ihren Gedanken oder Träumen verweilten? Ein letzter Blick zum Mond und sie ging zurück in ihr Bett. Würde sie zu sich finden und ihren Seelenweg beschreiten? In diesen Wochen hier in Saalfeld, die wie keine andere Zeit ihres Lebens so schnell verflogen war, hatte sie viele Menschen kennengelernt. Manche oberflächlich, Manche näher und Einige waren ihr an und ins Herz gewachsen und durften da bleiben. Und ihr war bewusst, dass es hier all Jene gab, die auch im realen Leben daheim um sie waren, nur in gewissermaßen anderer Verkleidung. Sie wurde durch deren Spiegel erinnert, getriggert, gefordert, verletzt, bestätigt oder liebevoll in ihrem Inneren berührt. Was für eine Zeit, welche ein Geschenk, all das erleben zu dürfen und neue Kraft zu tanken. Ein Gefühl der Wehmut beschlich sie bei dem Gedanken, dass es nur noch 8 Tage waren, die sie hier weilte. „Manchmal muss man einfach springen“, dachte sie..“ und so tief tauchen, dass man keine Luft mehr bekommt, weil die Lungenbläschen kurz vorm Zerbersten sind. Dann, genau dann, geht es nur noch nach oben. Da wird Energie frei geschaltet, die du nie erwartet hättest. Du schießt gleich einem Pfeil hinauf in Richtung des Lichtes und lässt das Alte hinter dir, weil du weißt, es ist Zeit, dem Zauber des Neuanfangs zu vertrauen und die Tür zu deinem neuen Leben aufzustoßen, den ersten Schritt hindurch zu gehen.“ Mit all diesen Bildern in ihrem Kopf schlief sie ein und tauchte im Traum tief hinein in ihre Vision vom Heilzentrum.